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9. Kapitel

Herleitung und Anwendung der KEPLERschen Gesetze

Die KEPLERschen Gesetze und Schlussfolgerungen

Die drei KEPLERschen Gesetze

Willst Du ein kosmisches Szenarium entwickeln, dann ist es zweckmäßig, dass Du dafür die KEPLERschen Gesetze zu Grunde legst. Johannes KEPLER (1571 - 1630) fand auf der Grundlage von Daten, die Tycho BRAHE in Jahrzehnte langen astronomischen Beobachtungen gewann, die Bewegungsgesetze der Planeten um die Sonne. Tycho BRAHE, dem noch kein Teleskop für seine Beobachtungen zur Verfügung stand, entwickelte ein Weltbild, das infolge der Widersprüche in den Planeten­bewegungen entstand. Es stellt einen Kompromiss zwischen dem ptolemäisch-geozentrischen und dem kopernikanisch-heliozentrischen Planetensystem dar, das als tychonisches Weltbild bekannt wurde.
Befassen wir uns also zunächst mit der Herleitung und Anwendung der KEPLERschen Gesetze.

Erst Johannes KEPLER, der konsequent das heliozentrische Weltbild vertrat, konnte eine befriedigende Erklärung für die Planetenbahnen angeben. Diese Erklärung findet in den drei KEPLERschen Gesetzen ihren Niederschlag:

  1. Keplersches Gesetz: Die Planetenbahnen sind Ellipsen, mit der Sonne in einem der beiden Brennpunkte ().

  2. Keplersches Gesetz: Die Verbindungslinie Planet-Sonne (Fahrstrahl) überstreicht in gleichen Zeiten gleich große Flächen. In unserem Beispiel () heißt das: A t 1 = A t 2 .

  3. Keplersches Gesetz: Das Verhältnis der Quadrate der Umlaufzeiten T zweier verschiedener Planeten ist genau so groß wie das Verhältnis der dritten Potenzen ihrer großen Halbachsen a ( bzw. siehe hierzu auch das 3. KEPLERsches Gesetz).
    ()
    Formel

Zum 1. KEPLERschen Gesetz

Abb. Zum 1. KEPLERschen Gesetz

Zum 2. KEPLERschen Gesetz

Abb. Zum 2. KEPLERschen Gesetz

Um die KEPLERschen Gesetze zu verstehen, müssen wir etwas über die Kennwerte einer Ellipse wissen (). Zunächst gibt es - anders als beim Kreis - zwei Halbachsen. Der Kreis hat nur eine Halbachse, den Radius. Die Ellipse verfügt hingegen über eine große Halbachse a und eine kleine Halbachse b. Während der Kreis nur einen Mittelpunkt hat, besitzt eine Ellipse statt dessen zwei Brennpunkte F1 und F2. Der Abstand eines der beiden Brenn­punkte zum Kreuzungs­punkt der Achsen a und b wird als Exzentrizität e bezeichnet. Für die Exzentrizität gibt es zwei Varianten:
  1. lineare Exzentrizität e: Dieser Wert entspricht dem absoluten Abstand zwischen Kreuzungspunkt und Brennpunkt.

  2. numerische Exzentrizität ε. Dieser Wert entspricht der auf den Wert der großen Halbachse bezogenen linearen Exzentrizität ε = e/a.

Bahnkennwerte

Abb. Bahnkennwerte

Berechnung der Planetenbewegung mit Hilfe der KEPLERschen Gesetze


Da es sich bei den Planetenbahnen um rotatorische Systeme handelt, ist es zweckmäßg, für deren Darstellung das Polarkoordinatensystem zu verwenden. Es geht also um die Bestimmung der Koordinaten φ und r(φ).

Nun wollen wir sehen, in wie weit uns die KEPLERschen Gesetze beim Entwurf eines maßstabsgerecht dargestellten Planetensystems helfen können. Insbesondere geht es darum, die Planetenbahnen und die Bewegung der Planeten richtig darzustellen.

Welche physikalischen Größen benötigen wir für eine maßstäblich korrekte und zeitlich richtige Darstellung eines Planeten auf seiner Bahn um die Sonne?
Wie üblich beziehen wir alle Bewegungsgrößen auf die Bildwechselfrequenz und damit auf die Zeitbasis dt. Sinnvoller Weise multiplizieren wir diese mit einem geeigneten timescaling-Faktor, desser Wert wir durch ausprobieren finden.
Welche Größen brauchen wir noch? Da wir uns im Polar-Koordinatensystem bewegen wollen, benötigen wir den aktuellen Winkel φ des Planeten bezüglich einer gedachten Achse (sinnvoller Weise der Großen Halbachse der elliptischen Bahn) und den dazu gehörigen Abstand r(φ) des Planeten von der Sonne, die in einem der Brennpunkte der elliptischen Bahn steht. Also worum geht es? Wir müssen den aktuellen Winkel φ(t) aus den bekannten Bahndaten des Planeten berechnen, alles andere ergibt sich dann von selbst!

Zunächst, woher bekommen wir die Bahndaten der Himmelskörper? Natürlich aus dem Netz! Z.B. gibt uns Wikipedia Datensätze wie diese ().

Hier finden wir die folgenden Angaben:
  • große Halbachse: 149,6 Mio. km,
  • Exzentrizität: 0,0167
  • Umlaufperiode: 356,256 Tage


Angaben, die wir noch im m und s umrechnen müssen, aber das ist ja kein Problem! Eher schon die Frage, wie es jetzt weiter gehen soll!

Nehmen wir das 2. KEPLERsche Gesetz! Dort heißt es: der Fahrstrahl überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen. Wie können wir die Fläche, die der Fahrstrahl überstreicht, berechnen? Mit der Flächenformel des Dreiecks ().

Flächenelement

Abb. Flächenelement

Kennwerte der Erdbahn
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Erde

Abb. Kennwerte der Erdbahn

Johannes Kepler stand vor der gleichen Herausforderung, ohne dass ihm die Mittel der modernen Mathematik, wie Differentiation oder Integration, zur Verfügung standen. Er suchte eine Lösung in der Geometrie, die auf der Affinität von Kreis und Ellipse beruht. Auf der web-site von Reiner Stumpe findest Du eine detailierte Beschreibung des Keplerschen Lösungsweges.
Wir bedienen uns hingegen der Möglichkeiten, die die Infinitessimalrechnung bereit stellt und betrachten zunächst ein differentiell schmales Flächenelement, dessen Berechnung so erfolgen kann, als wäre die elliptische Planetenbahn kreisförmig:
()
Formel
Dividieren wir auf beiden Seiten durch dt, das ist der Zeitabschnitt, der zum Überstreichen dieser Fläche erforderlich ist, erhalten wir:
()
Formel
Jetzt kommt das 2. KEPLERsche Gesetz ins Spiel: gleiche Flächen (dA) in gleichen Zeiten (dt) sind konstant!
Erinnern wir uns:
()
Formel
Geistesblitz


D.h. die momentane Umlauffrequenz (oder Drehzahl) des Planeten ist umgekehrt proportional zum Quadrat seines Abstandes vom Zentralgestirn!

Aber bleiben wir bei . Der Einfachheit halber nennen wir die Konstante C. C ist eine noch unbekannte Konstante, deren Wert wir noch bestimmen müssen!
()
Formel
Üblicher Weise würden wir jetzt φ durch Integration über die Zeit bestimmen wollen. Doch hier machen wir es umgekehrt! Wir integrieren über φ, denn uns ist die Umlaufdauer T des Planeten bekannt und darüber hinaus auch die Grenzen des Umlaufwinkels φ für einen vollen Umlauf, nämlich von 0 bis .

Also stellen wir die Gleichung nach dt um:
()
Formel
Im nächsten Schritt wäre die Lösung des bestimmten Integrals erforderlich,
()
Formel
um, dank der bekannten Periodendauer T, die noch unbekannte Konstante C zu bestimmen. Dann nämlich können Umlaufgeschwindigkeit und Abstand des Planeten exakt ins Verhältnis gesetzt werden.

Aber noch können wir das Integral nicht lösen, da uns r(φ) nicht bekannt ist. Hier hilft die Kenntnis der Kegelschnitte weiter. Sind große Halbachse a und numerische Exzentrizität ε bekannt, dann ist r(φ) in dieser Weise abhängig:
()
Formel
in das Integral von eingesetzt, ergibt nun das bestimmte Integral, dessen Integrand nur vom Winkel φ abhängig ist:
()
Formel
Um einen unverstellten Blick auf das Integral zu bekommen, werden alle konstanten Faktoren vor das Integral gezogen:
()
Formel
Wie sich zeigt, ist dieses Integral eines der üblen Sorte. Leider nicht ohne größere Schwierigkeiten explizit zu lösen! Hier das zu bestimmende Integral:
()
Formel
step by step explanation
Aber müssen wir das Integral überhaupt explizit lösen? Eigentlich interessiert uns ja nur der Zahlenwert des bestimmten Integrals. Also suchen wir einen alternativen Lösungsweg. Da bieten sich zum Beispiel eine numerische Integration oder wir bedienen uns der Reihenentwicklung nach TAYLOR. Bei der Suche nach einer geeigneten Reiheentwicklung des Integranden hilft uns der Taylor-Reihenentwicklungs-Rechner. Wie nun die Ermittlung des gesuchten Integrals erfolgt, verrät uns der step-by-step Hinweis.
Im Fall der Erdbahn erhalten wir bei einer Exzentrizität von ε = 0,0167086 einen Wert I = 6,28581678 für das Integral.

Hier findest Du die Berechnung des Integrals I:
download p5.js
run program

So finden wir schließlich den Wert der gesuchten Konstante C:
()
Formel
also
()
Formel
Für die Erdbahn erhalten wir auf diesem Wege den Wert für CErde = 4.55⋅1015 km2/s.

Nun können wir die Erdumlaufbahn vollständig beschreiben. Als Ausgangspunkt dient die Aussage des 2. KEPLERschen Gesetzes:
()
Formel
Mit der Radius-Winkel-Beziehung aus ergibt sich dann die momentane Winkelgeschwindigkeit ω(φ):
()
Formel
Geistesblitz
Alle Planeten unseres Sonnensystems

Jetzt stehen r(φ) und ω(φ) für eine Darstellung in Polarkoordinaten zur Verfügung. Mit der Beziehung
()
Formel
wird der Bezug zur Zeitachse in der Simulation hergestellt.

Dieses Beispielprogramm zeigt die Bahnverläufe der Planeten Merkur, Venus, Erde/Mond und Mars sowie eines fiktiven Kometen, der sich durch eine Bahn mit höherer Exzentrizität auszeichnet. Für die Zeitskalierung gilt: 1 Modellskunde entspricht 1 000 000 s in der Realität.
Trotz großer Zeitincremente dt = timeScale/frmRate und der Anwendung des einfachen EULER-CAUCHY-Algorithmus gibt es eine gute Übereinstimmung zwischen tatsächlicher Umlaufdauer T_Erde und der Dauer des simulierten Umlaufs der Erde.
download processing
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run program