8. Kapitel
Analogien zwischen Rotation und Translation
So unterschiedlich Translation und Rotation auch sein mögen, sollten wir versuchen, Gemeinsamkeiten zwischen beiden Bewegungsarten zu finden, um den mathematischen Apparat der Translation für die die Aufgabenstellungen der Rotation nutzbar zu machen.Daher wollen wir zunächst die Analogien zwischen Rotation und Translation finden:
Von der Kraft zum Drehmoment - Hebelgesetz
Greift eine Kraft an einem drehbar gelagerten Körper an, so ist ihre Wirkung anders als bei frei beweglichen Körpern wie uns das Pendel () lehrt.
Eines seiner Forschungsergebnisse hat ARCHIMEDES
zu den Worten veranlasst: "Gebt mir einen festen Punkt, und ich hebe die Welt aus ihren
Angeln!". Damit meinte er, dass mit Hilfe eines Hebels jede noch so kleine Kraft größte
Lasten anheben kann. Damit hat er anschaulich das Prinzip des Hebelgesetzes
beschrieben. zeigt eine der möglichen
Hebelanordnungen. An einem starren Balken, der drehbar angeordnet ist,
greifen beidseitig Kräfte FKraft im Abstand
rKraft bzw. FLast) im Abstand
rLast an. Nun ist die Frage: wann halten sich die
beiden Kräfte die Waage? Aus Erfahrung wissen wir: wenn die Produkte aus Kraft
und Abstand einander gleich sind.
In der Schule wurde uns gelehrt: "Kraft mal Kraftarm gleich Last mal Lastarm". Ersetzen wir nun diese Produkte durch einen neuen Begriff: das Drehmoment, oder einfach Moment. Mit dem Formelzeichen M.
()
In der Schule wurde uns gelehrt: "Kraft mal Kraftarm gleich Last mal Lastarm". Ersetzen wir nun diese Produkte durch einen neuen Begriff: das Drehmoment, oder einfach Moment. Mit dem Formelzeichen M.
Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Archimedes_lever.png
Abb. ARCHIMEDES hebt die Welt aus ihren Angeln
()
So formuliert lautet das Hebelgesetz nach
()
Abb. Zum Hebelgesetz
So ist, analog zum Kräftegleichgewicht, der translatorischen Bewegung
ein Momentengleichgewicht der rotatorischen Bewegung geworden!
Allerdings sollten die angreifenden Kräfte stets rechtwinklig zu den Hebelarmen wirken! Ist dies nicht der Fall, wirken nur jene Kraftkomponenten, die diese Bedingung erfüllen. Um die widerspruchsfrei für beliebige Angriffswinkel formulieren zu können, nehmen wir noch den Winkel α zwischen angreifender Kraft und Hebelarm in die Gleichung auf.
Dann gilt:
()
Ebenso wie die Kraft ist auch das Moment eine vektorielle Größe! So ist leicht zu verstehen, dass sinnvoller Weise als Kreuzprodukt von Vektoren ausgedrückt werden kann:
()
denn entspricht genau der Definition des Kreuzproduktes: .
Wenden wir diese Formulierung auf das mathematische Pendel
an. Dass nicht die ganze Kraft ungeteilt auf die Masse des Pendels wirkt, konnten wir
schon aus ersehen. Übersetzen wir die am Pendel
wirkenden Kräfte in Drehmomente, so erhalten wir:
oder, entsprechend
()
oder, entsprechend
()
Abb. Zum mathematischen Pendel
Wenn das Moment ein Vektor ist, wie ist es dann orientiert? Als Ergebnis eines Vektorproduktes steht es senkrecht auf den beiden Vektoren Kraft F und Hebelarm r:
Abb. Vektorielle Berechnung des Drehmomentes
Abb. UVW-Regel
Für die Bestimmung der Orientierung leistet die Rechte Hand- oder UVW-Regel gute Dienste ( und ).
Beachte, dass es einen Unterschied zwischen dem Drehwinkel φ und
dem Angriffswinkel der Kraft α gibt. Der Drehwinkel gibt den
Ort der Masse auf dem Kreisbogen an!
Winkel, Winkelgeschwindigkeit und -Beschleunigung
Aus Gleichung wissen wir, dass es einen Zusammenhang
zwischen dem Weg s auf einem Kreisbogen und dem Winkel
φ gibt (). Unter der Voraussetzung,
dass sich das Objekt auf einer Kreisbahn bewegt, also r = const ist,
wird durch einmaliges Differenzieren nach der Zeit ein Zusammenhang zwischen der
translatorischen Geschwindigkeit
und der Winkelgeschwindigkeit
,
die in direkter Proportionalität zur Drehzahl (n)
steht,
sowie durch zweimaliges Differenzieren nach der Zeit ein Zusammenhang zwischen der
translatorischen Beschleunigung
und der Winkelbeschleunigung
hergestellt:
()
Abb. Radius und Winkel versus Weg
Die folgenden Variablen der translatorischen Bewegung finden ihre Entsprechung für die rotatorische Bewegung:
Translation | Variable | Rotation | Variable |
Ort | Winkel | ||
Geschwindigkeit | Winkelgeschwindigkeit | ||
Beschleunigung | Winkelbeschleunigung |
Von der Masse zum Trägheitsmoment
Welche Gestalt nimmt das 2. NEWTONschen Axioms für kreisförmig bewegte Körper an? Aus oder geht hervor, dass ist. Weiterhin ist aberIn Verbindung mit der 2. Ableitung in ergibt Einsetzen
()
()
()
Mit Gleichung haben wir eine Analogie für das 2.
NEWTONsche Axiom in rotatorischen Systemen gewonnen. Wobei das
Trägheitsmoment J die Rolle der trägen Masse, der Winkel
φ die der Ortskoordinate und das Moment M die
Rolle der Kraft übernommen haben.
Energie und Impuls in rotatorischen Systemen
Bei den translatorischen Systemen kennen wir zwei Energieformen, die potentielle und die kinetische Energie. Ist das in rotatorischen Systemen auch so? Schauen wir uns zunächst die potentielle Energie bzw. die geleistete Arbeit an, wenn eine Bewegung gegen einen Widerstand geleistet wird. Die potentielle Energie/Arbeit ergibt sich in der Translation zu
()
Wobei wir der Einfachheit halber annehmen wollen, dass die Kraft F parallel zum Weg s wirken soll. Auf diese Weise ersparen wir uns die vektorielle Betrachtungsweise!
Ersetzen wir den Weg s durch das Kreissegment r·φ gemäß erhalten wir
()
Wobei wir gemäß der oben gemachten Vereinbarung annehmen wollen, dass die Kraft
F senkrecht zum Hebelarm r wirken soll und der
Hebelarm selbst eine unveränderliche Länge hat.
Mit der Definition des Drehmomentes () folgt schließlich der Ausdruck für die rotatorische potentielle Energie bzw. Arbeit:
()
In Worten: Wird ein Objekt auf einer Kreisbahn gegen ein Drehmoment der Größe M um den Winkel φ gedreht, dann wird Arbeit der Größe W verrichtet.
Im Vergleich von mit sehen wir wieder, dass das Drehmoment M den Platz der Kraft F und der Drehwinkel φ den des Weges s eingenommen hat!
Ähnlich kann jetzt mit der kinetischen Energie verfahren werden. Die translatorische Geschwindigkeit v ist entspr. durch die Bogengeschwindigkeit zu ersetzen:
()
Auflösen des Quadrates und Umsortieren
()
ergibt mit der Definition des Trägheitsmomentes J gemäß :
()
Im Vergleich von mit sehen wir, dass die Masse m durch das Trägheitsmomnet J und das Quadrat der Geschwindigkeit v2 durch das Quadrat der Winkelgeschwindigkeit ω2 ersetzt worden ist!
Zum Drehimpuls. Von der Translation her ist uns der Impuls p einmal als Produkt aus Masse m und Geschwindigkeit v, zum andren der Kraftstoß I als Produkt aus Kraft F und Wirkdauer t bekannt.
Drücken wir die Geschwindigkeit wieder durch den Drehwinkel aus, geht der Impuls in den Drehimpuls über:
()
Erweitern mit r
()
In der deutschsprachigen Literatur ist statt des L häufig das
Formelzeichen d für "Drall" zu finden. Diese Schreibweise ist
veraltet und sollte nicht mehr verwendet werden!
führt unter Verwendung von auf den Drehimpuls L:
wobei ist.
()
wobei ist.
on/off
Auf der anderen Seite steht der Kraftstoß I. Verwenden wir gleich die differentielle Form des Kraftstoßes:
()
Gemäß ersetzen wir die zeitliche Änderung des Impulses dp durch die Darstellung im rotatorischen System:
()
Wieder erweitern wir mit r
()
und erhalten so unter Verwendung der und
()
und führt auf den Drehimpulssatz von EULER. Dieser Satz sagt aus, dass die Wirkung eines Drehmomentes M zu einer zeitlichen Änderung des Drehimpulses L führt.
Zusammenhänge zwischen Translation und Rotation auf einen Blick
Abb. Gegenüberstellung translatorischer und rotatorischer Kenngrößen
Wahl eines geeigneten Koordinatensystems
Ohne Zweifel ist das Arbeiten mit translatorischen Systemen in einem kartesischen Koordinatensystem ideal, entspricht es doch unserer visuellen Geometrie. Aber wie ist das mit rotatorischen Systemen? Der Drehbewegung ist ja zu eigen, dass sich alles um einen festen Punkt dreht. Die Variablen Radius r und Drehwinkel φ treten in allen Formeln auf. Warum sollte man diese nicht als Koordinaten eines zentrischen Koordinatensystems verwenden? Ein solches Koordinatensystem wird Polarkoordinatensystem genannt, weil der Drehpunkt auch als Pol bezeichnet werden kann. Ebenso wie im kartesischen Koordinatensystem, sind die Koordinaten im Polarkoordinatensystem orthogonal. Somit können beide Koordinatensysteme in einander überführt werden ().Abb. Kartesisches Koordinatensystem versus Polarkoordinaten
Sind beispielsweise die Mauskoordinaten mit den Werten x und y angegeben und wir wollen daraus die Polarkoordinaten für den Startwert einer Kreisbewegung berechnen, so bedienen wir uns der Transformation von kartesischen in Polarkoordinaten:
()
Und für die Bildschirmdarstellung benötigen wir die Werte x und y, die wir nun aus den gegebenen Polarkoordinaten errechnen müssen. Hier benötigen wir die umgekehrte Transformation:
()
An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass es neben dem Polarkoordinatensystem noch eine ganze Reihe anderer Koordinatensysteme mit gekrümmten Koordinaten gibt (siehe elliptische Koordinaten).