Advanced Games Physics
5. Kapitel

Eigenschaften und Verhalten nichtidealer Federn

Sonderfälle

Reale Federn: Auswirkung von Nichtlinearitäten

Schon im Abschnitt Ideale und reale Federn habe ich darauf hingewiesen, dass der Federweg aus praktischen Gründen nicht unbegrenzt sein kann. In den vorausgegangenen Kapiteln haben wir das Verhalten von Feder-Masse-Reibungssystemen untersucht, sind dabei aber immer davon ausgegangen, dass sich die Feder unbegrenzt dehnen oder stauchen lassen. Jetzt wollen wir untersuchen, welchen Einfluss das Verhalten nichtidealer Federn auf die Bewegung haben. Insbesondere, wenn der Federweg begrenzt ist.

Dass Federn nicht unbegrenzt gestreckt werden können, ist nur ein Grund für die folgenden Betrachtungen. Es gibt noch weitere Gründe einer Federwegbegrenzung. Beispielsweise bei Kraftfahrzeugen muss verhindert werden, dass bei sehr großen Schwingungsamplituden, die Federung schlagartig an die Karosserie stößt. Deshalb werden, wie in gezeigt, Gummipuffer in die Federung eingefügt, die bevor der physische Federweg "aufgebraucht" ist, zusätzlich zu wirken beginnen.
Federwegbegrenzung durch Gummipuffer

Abb. Federwegbegrenzung durch Gummipuffer

In der Simulation () werden wir diesen Gummi­puffer durch eine weitere Feder berück­sichtigen, die nur dann wirkt, wenn der Feder­ausschlag die Ruhe­feder­länge dieser Zusatz­feder erreicht hat.

Das schwingende System, bestehend aus der Feder n1 und der Masse m wird von unten periodische angeregt. Über dem schwingenden System ist der Begrenzer in der Höhe yT angeordnet. Der Begrenzer besteht aus einer zusätzlichen Feder, deren Federkonstante n2 deutlich größer als die der Hauptfeder ist. yT ist gleichzeitig dem unteren Federende der unbelasteten Begrenzerfeder gleich.

Im frei schwingenden Zustand wirkt eine Federkraft, die sich aus dem Federweg y - l01 multiplziert mit der Federkonstanten n1 der Hauptfeder berechnet. Worin l01 die Ruhelänge der Hauptfeder ist.

()
F n = n 1 · y l 01

Wird nun die Schwingungsamplitude y so groß, dass die Begrenzer­feder mit ins Spiel kommt, dann verändert sich die wirksame Federkraft infolge der Parallelschaltung von Federn:

()
F n = n 1 · y l 01 + n 2 · y T y

Das hat Folgen für die Differentialgleichung! Während im freischwingenden Zustand die bereits bekannte homogene Differentialgleichung
Federwegbegrenzung mittels Zusatzfeder

Abb. Federweg­begren­zung mittels Zusatz­feder

()
y · · = 2 δ 1 · y · n 1 m · y l 01

gilt, muss sie nun um den Beitrag der Begrenzerfeder () erweitert werden. Vergessen wir nicht, dass die Begrenzerfeder auch eine Dämpfung besitzt - die im Falle der Verwendung eines Gummipuffers erheblich größer als die der δ1 Hauptfeder ist. Die Dämpfung der Begrenzerfeder δ2 wird bewusst groß gewählt, um ein Prellen am Puffer zu vermeiden.

()
y · · = 2 δ 1 + δ 2 · y · n 1 m · y l 01 + n 2 m · y T y

Beim Rückschwingen der Hauptfeder wird irgendwann eine Unterschreitung des Begrenzerpunktes yT eintreten, dann gilt wieder DGl. nach . Es muss also bei der Implementierung der DGln. stets geprüft werden, in welcher Phase sich das schwingende System befindet. Darum findet ein steter Wechsel zwischen den Gleichungen und statt.

Für die praktische Simulation ist es natürlich erforderlich, eine Anregung des Systems vorzusehen. Am einfachsten geschieht das durch das Aufprägen einer Schwingung am unteren Ende der Feder, wie im nebenstehenden Programmbeispiel implementiert. Dazu wird einfach das y der homogenen DGl. durch ein y - yexc ersetzt und so die homogene zu einer inhomogenen DGl. gemacht.

Unser Programmbeispiel simuliert ein Gebäude der Masse m in einem Erdbebengebiet. Um Vibrationen im Gebäude zu reduzieren, sind Gebäude und Untergrund federnd verbunden. Das Gebäude steht schon längere Zeit, so kann angenommen werden, dass die durch die Gravitationswirkung bedingten Einschwingvorgänge abgeschlossen sind. Die Wirkung der Gravitation macht sich in einer reduzierten Ruhefederlänge bemerkbar, die aber auf die zu untersuchenden Erdbebenfolgen ohne Relevanz ist. Das bedeutet aber auch, dass in die Bewegungsgleichung eine Gravitations­wirkung nicht eingehen darf! Wir untersuchen also ein System ohne Gravitations­einfluss!

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Das Erdbeben wird von (im Beispiel periodisch wiederkehrenden) Stößen der Höhe yExc ausgelöst (mathematisch wird dieses Verhalten als Stoßfunktion bezeichnet). Wegen des Einsatzes einer Feder mit begrenztem Federweg ist der Federweg nach oben und unten beschränkt.

Im Programmbeispiel wird das Verhalten einer nach beiden Seiten begrenzten Feder gezeigt. Die Stoßfrequenz fexc ist im Beispiel halb so groß wie die Eigenfrequenz des Systems f0. Was beobachtest Du?
Im unteren Fenster: Feder-Masse-System mit Begrenzungen. Der Begrenzereinsatz, wird mit Hilfe des Griffes (türkis) unterhalb der Federcharakteristik-Grafik verändert. Sichtbar wird der effekt der Begrenzung durch den Farbwechsel der Masse von grün nach rot.
Mit den Schiebereglern werden die Stoß-Anregungsamplitude sowie die Parameter der Begrenzerfedern, Federkonstante n2 und Dämpfung δ2 eingestellt.
Im oberen Fenster: Zeitfunktionen der Anregung yexc (rot) und der vertikalen Gebäudebewegung (blau) y.

Ergebnisdiskussion: Bei kleinen Anregungsamplituden (Bebenstärke) yexc verhält sich das Feder-Masse-Reibungssystem so, als gäbe es keine Wegbegrenzung. Mit größer werdenden Anregungsamplitude gibt es eine merklichen Stoß am Gebäude. Da die Feder ihren möglichen Federweg ausgeschöpft hat, wird nun die verbleibende Stoß-Amplitude ungedämpft an das Gebäude weiter gegeben. Dies kann auch anhand der Zeitfunktion am Überschwingung beobachtet werden. Dieser Effekt verstärkt sich, wenn zusätzlich die Grenzen des Begrenzereinsatzes verringert werden. In dieser Situation treten sogar Schwingungen höherer Frequenz auf, weil nunmehr eine viel steifer Feder (n1 + n2) wirkt.

Mit den beiden rechten Schiebereglern können nun die Eigenschaften der Begrenzerfedern beeinflusst werden. Bei sehr harten Federn (n2 ↑↑), aber kleiner Dämpfung δ2 ist ein Prellen der Masse an den Begrenzern zu sehen, wobei die Prellfrequenz durch die Kombination Masse m - Parallelschaltung der Federn n1 und n2 bestimmt ist. Mit größer werdender Dämpfung δ2 verschwindet das Prellen.


Eine andere Art der Nichtlinearität von Federn haben wir bereits weiter oben angesprochen. Hier ist es nicht die Begrenzung des Federweges, sondern ein nicht proportionales Verhältnis von Federweg s zu Federkraft Fn. In zeigt die blaue Kurve ein nichtlineares Kraft-Weg-Verhältnis und die rote Kurve den Verlauf, also die Kennlinie, der zugehörigen Federkonstante n(s).

Da die Federkonstante, die in diesem Fall den Namen "Konstante" eigentlich gar nicht mehr verdient, der Steigung der Tangente der Federkraftfunktion F(s) entspricht, können wir durch grafische Differentiation auf die Abhängigkeit der Konstante n vom Federweg s schließen. Dies wird durch die rote Kurve angezeigt. Es ist zu sehen, dass die Federkonstante um den Ruhebereich der Feder relativ konstant gleich n0 ist, aber zu beiden Seiten symmetrisch ansteigt.

Unser Ziel ist nicht, die Verhältnisse einer bestimmten Feder nachzubilden. Daher haben wir die freie Wahl einer nachbildenden Funktion für eine nichtlineare Federkonstante. Für unsere Aufgabe scheint mir die Benutzung der artanh()-Funktion besonders geeignet ( und ).

nichtlineare Federkraft/Federweg-Beziehung

Abb. nichtlineare Federkraft/Federweg-Beziehung

Mit dem Verstärkungsfaktor κ (kappa) kann die Steilheit (Grad der Nichtlinearität) der Kurve eingestellt werden. Grundsätzlich gilt: je größer κ desto nichtlinearer ist n(s). Bei κ = 0 liegt eine konstante Federkonstante, die streng dem STOKESschen Gesetz folgt, vor. Mit der Normierung der artanh()-Funktion auf den Wert von κ wird erreicht, dass in der Umgebung s ≈ l0 der Wert der Federkonstante n = n0 ist. Somit verhält sich das Feder-Massen-System bei kleinen Ausschlägen stets gleich!
()
Formel

Nun ist die artanh()-Funktion in den Libraries der wenigsten Programmier­sprachen zu finden. Daher werden wir diese Funktion in eine Potenzreihe entwickeln:

()
Formel
wobei
Formel
In der Nähe der Ruhefederlänge s ≈ l0 verschwinden alle Potenzterme, die wirksame Federkonstante n(s) geht in n0 über. Aus Symmetriegründen geht der Federweg s - l0 als Betrag des auf die Ruhefederlänge l0 normierten Wertes in die Potenzterme ein.

Für das Aufstellen der Differentialgleichung interessiert uns allerdings die Federkraft und nicht so sehr die Federkonstante! Da das Verhältnis von Kraft F und Weg s nichtlinear ist, gilt das STOKESsche Gesetz über den gesamten Federweg nicht. Vielmehr gilt:
()
Formel

Darum müssen wir also erst aus durch Integration die Kraft-Weg-Relation ermitteln.

kann eleganter gefasst werden. Wenn davon ausgegangen wird, dass die Potenzreihe nach dem Iten Glied abgebrochen wird. Dann kann kann die Summe der einzelnen Potenzterme unter ein Summensymbol zusammen gefasst werden

nichtlineare Federkraft: Funktionsgraf

Abb. Funktionsgraf nach

()
Formel

Geistesblitz
Substitution
und die Integration ist über alle Summanden unter dem Summensymbol auszuführen.

Ein Knackpunkt, den bereit hält, besteht darin, dass der Integrand aus zwei unterschiedlichen Integranden besteht. Der erste enthält eine Konstante, die über den Weg s zu integrieren ist - unproblematisch. Der zweite hingegen integriert eine Funktion f(z) über den Weg s! Das bedeutet, es muss s durch z substituiert werden:
()
Formel

beinhaltet eine Betragsbildung. Für die Integration bedeutet dies eine Unstetigkeit, die durch getrennte Integration der stetigen Funktionsteile überwunden wird. Wir wissen, dass im vorliegenden Fall die Funktion symmetrisch ist. Daher genügt es, sich auf die Integration der Funktion im 1. Quadranten zu beschränken. Die gefundene Lösung wird durch Spiegelung auf den 2. Quadranten übertragen.
Bei dieser Gelegenheit erinnern wir uns daran, dass die Integrationsgrenzen festgelegt werden müssen, um ein bestimmtes Integral zu erhalten. Wir wählen hierfür die Grenzen des Stetigkeitsbereiches des 1. Quadranten. Dieser reicht von y = l0 bis zum aktuellen Wert y.
()
Formel

Dann lautet die bestimmte Lösung:
()
Formel

noch ein wenig vereinfachen und die Symmetrie der Lösung durch die Betragsbildung des Federweges s - l0 berücksichtigen:

()
Formel

Auf Grundlage der kann nun die Differentialgleichung für die senkrechte Aufgabe mit der Ortsvariablen y aufgestellt werden:

()
Formel

Allerdings tritt hier ein Problem in Erscheinung, dass als steife Differentialgleichung bezeichnet wird. Der Begriff steif leitet sich aus genau dieser Aufgabenstellung - schwingendes Feder-Masse-System mit steifer Feder - her. Der Lösungsansatz nach dem EULER-CAUCHY-Verfahren, den wir bisher verfolgt haben, führt zu instabilen Lösungsverhalten. Deshalb verwenden wir hier ein viel genaueres Lösungsverfahren, das DORMAND_PRINCE-Verfahren.



Abb. Erzeugung und Anwendung einer nichtlinearen Federkonstante


Das folgende Programmbeispiel beinhaltet das gleiche Szenarium wie oben. Wir legen die Anordnung nach , allerdings ohne Begrenzer, zugrunde. Statt dessen soll eine nichtlineare Feder in der Anordnung zum Einsatz kommen. Neu ist der Schieberegler für die Nichtlinearität, die durch den Exponenten κ ausgedrückt wird.

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run program

Die Darstellung ist zweigeteilt: im oberen Fenster ist die Zeitfunktion der Schwingung (blau) im Vergleich zu einer Normschwingung (rot) zu sehen. Die Normschwingung ist so gewählt, dass sie dem idealen, ungedämpften Feder-Masse-System mit der Federkonstanten n0 entspricht.
Im unteren Fenster befinden sich neben dem schwingenden System, ein Amplitudenregler, der die Einstellung der Sprunghöhe FExc erlaubt sowie Einstellmöglichkeiten für die Nichtlinearität κ, den Einsatzpunkt ε und die Dämpfung δ des Systems.

Im Experiment solltest Du die Auswirkung unterschiedlicher Sprungamplituden bzw. des Einsatzpunktes auf die Eigenschwingung des Systems untersuchen. Beginne mit einer Amplitude im linearen Bereich (der Punkt auf der Kurve zeigt Dir, wie groß die Amplitude sein wird) und verändere dann die Amplitude in den nichtlinearen Bereich hinein. Was beobachtest Du?

Ergebnisdiskussion: Im oberen Fenster sind wieder die Zeitfunktions­verläufe der tatsächliche Schwingung (blau) und die der Anregungsfunktion (rot) zu sehen. Bei kleinen Auslenkungen s - l0, also wenn die Feder im linearen Bereich betrieben wird, verhält sich das System so, als wäre die Federcharalteristik streng linear. Erst bei höheren Amplituden bzw. früherem Einsatzpunkt ist die Wirkung der Nichtlinearität zu beobachten. Es tritt ein mehr oder weniger starker Begrenzungseffekt auf. Die Eigenfrequenz ω0 der Anordnung Gebäude-Federung ist relativ hoch (im Beispiel 5 fach höher als die Puls­frequenz). Daher kann bei extremer Nichtlinearität (κ ist sehr groß) eine Erhöhung der Eigenfrequenz unmittelbar nach dem Stoß beobachtet werden. Ursache für die Resonanzverschiebung ist die bei größen Amplituden größer werdende Federkonstante n(y).