11. Kapitel
Bewegung eines elliptischen Zylinders auf der schiefen Ebene
Dies nun ist eine Aufgabe, die leicht aussieht, aber das ganze Gegenteil davon ist: die Bewegung eines elliptischen Zylinders auf einer Schräge. Im Unterschied zu einem kreisförmigen Zylinder auf der schiefen Ebene gelten wesentliche Voraussetzungen nicht mehr. Die Schwierigkeiten lassen sich auf zwei Punkte reduzieren:- Der Umfang oder Teile des Umfangs einer Ellipse sind nicht analytische gegeben. Die Bogenlänge aber benötigen wir, um den zurück gelegten Weg des rollenden elliptischen Zylinders zu berechnen.
- Der Mittelpunkt der Ellipse verläuft nicht in konstantem Anstand zur Unterlage. Daher ist die Aufstellung der Differentialgleichung nicht so einfach, was die Anwendung des LAGRANGE-Formalismus nahe legt.
Ausgangspunkt aller Überlegungen ist die Darstellung der Ellipse in sog. elliptischen Koordinaten (). Diese stellen eine Spezialform der Polarkoordinaten dar und wurden bei der Berechnung des Trägheitsmomentes einer elliptischen Scheibe bereits erläutert.
Die abhängigen Variablen der Ellipsengleichung werden hier, obwohl sie die
gleichen Bedeutungen wie die Variablen x und y
haben, mit u und v bezeichnet. Der Grund hierfür
liegt darin, dass u und v die Koordinaten aller
auf der Ellipse liegenden Punkte darstellen. Hingegen bezeichenen die
Variablen x und y den zurückgelegten Weg. Also,
wenn die Ellipse auf der Geraden abgerollt wird, stimmen u und
x sowie v und y überein. Daher
verwende ich hier, um Verwirrungen zu vermeiden, zwei unterschiedlich benannte
Variablenpaare.
()
on/off
Hierbei handelt es sich um eine parametrische Darstellungen mit dem Parameter
τ, der als unabhängige Variable wirkt. τ
ist ein Winkel, der bei seinem Umlauf jeden Punkt auf der Ellipse beschreibt.
Mit a als großer und b als kleiner Halbachse wird
die Form der Ellipse vollständig bestimmt. Die abhängigen Variablen
u und v sind die kartesischen Koordinaten
(analog zu x und y) des Ellipsenpunktes, der durch
τ bestimmt worden ist ().
entspricht der Normalform der Ellipsengleichung, die für eine liegende Ellipse (die große Halbachse a liegt parallel zur x-Achse) mit ihrem Mittelpunkt im Koordinatenursprung. Wird nun die Ellipse aus dieser Normallage um den Winkel φ heraus gedreht, was ja bei einem rollenden elliptischen Zylinder der Fall ist, dann muss auf eine Rotationsmatrix angewendet werden. Zusätzlich soll die Ellipse auch noch einer Translation unterworfen sein, so muss auch noch deren Mittelpunkt um die Koordinaten x und y verschieblich sein. Das führt dann auf :
entspricht der Normalform der Ellipsengleichung, die für eine liegende Ellipse (die große Halbachse a liegt parallel zur x-Achse) mit ihrem Mittelpunkt im Koordinatenursprung. Wird nun die Ellipse aus dieser Normallage um den Winkel φ heraus gedreht, was ja bei einem rollenden elliptischen Zylinder der Fall ist, dann muss auf eine Rotationsmatrix angewendet werden. Zusätzlich soll die Ellipse auch noch einer Translation unterworfen sein, so muss auch noch deren Mittelpunkt um die Koordinaten x und y verschieblich sein. Das führt dann auf :
Abb. Zur Parameterdarstellung der Ellipsengleichung
()
Nun zur ersten Teilaufgabe, der Berechnung der Segmentlänge der Ellipse, die ja gleich dem zurückgelegten Weg sein soll (siehe ), wenn sich die Ellipse um den Winkel φ gedreht hat. Da die einfachen Zusammenhänge des Kreises nicht mehr gelten, müssen wir die Segmentlänge S durch Integration aus den unendlich kleinen Segmenten ds berechnen. Durch Differentiation von nach dem Winkel τ erhalten wir nach dem Satz des PYTHAGORAS die Länge des differentiell kleinen Segmentelements ds:
()
Alle Segmentelemente ds sind durch Integration über den Winkel
τ zu summieren.
Ausklammern von a und Anwendung des trigonometrischen PYTHAGORAS führt auf
()
Ausklammern von a und Anwendung des trigonometrischen PYTHAGORAS führt auf
()
Abb. Zusammenhang zwischen zurückgelegtem Weg und Segmentlänge
Leider ist das so entstandene Integral elementar nicht lösbar.
Es handelt sich hierbei um ein sog. elliptisches Integral, das
entweder nur mittels Reihenentwicklung numerisch oder,
sofern es sich nur um die Berechnung des Umfangs der Ellipse handelt, durch
eine Näherung gelöst werden kann.
Mit der Näherungslösung von Ramanujan:
wobei
kann der Umfang einer Ellipse, auch bei großen Excentrizitäten
0≤ε≤0,9 sehr genau berechnet werden. Die Näherung
ergibt im gesamten Bereich stets einen etwas zu kleinen Wert, der monoton mit
εzunimmt. Allerdings gilt die Näherung nur für den Umfang
und nicht für die Berechnung von Segmentlängen einer Ellipse!
Mit der Näherungslösung von Ramanujan:
()
on/off
Der Wurzelausdruck unter dem Integral kann in eine Reihe entwickelt werden, was die gliedweise Integration ermöglicht. Eine Reihenentwicklung ist möglich, wenn der Ausdruck ist. Diese Bedingung wird immer erfüllt, da ε stets < 1 ist. Allerdings zeigt sich, dass bei ε nahe 1 die Konvergenz der Reihe langsamer erfolgt, also mehr Glieder benötigt werden, um die geforderte Genauigkeit bei der Berechnung der Segmentlänge zu erreichen.
Der in gezeigte Programmauszug der rekursiven Berechnung der Länge eines Ellipsenbogens zeigt, dass die Belastung der CPU relativ unabhängig von der Zahl der Rekursionsschritte ist, die durch den Parameter K vorgegeben werden müssen. Es zeigt sich experimentell, dass bei Excentrizitäten von ε < 0,6 mit K = 10 recht gute Ergebnisse zu erzielen sind. Über diesem Wert steigt die Zahl der erforderlichen Rekursionen für eine brauchbare Genauigkeit massiv an. Bei einem ε < 0,9 sind bereits K = 29 Glieder erforderlich, um die geforderte Genauigkeit zu erreichen.
Abb. Rekursive Berechnung der Segmentlänge eines Ellipsenbogens
Das Beispielprogramm dient der Ermittlung der optimalen Anzahl von Gliedern der Reihenentwicklung für die Berechnung der Segmentlänge in Abhängigkeit von der numerischen Excentrizität ε. ε kann dabei per Schieberegler zwischen 0 und 0.9 variiert werden. Die Auswirkung, die die Variation von ε hat, wird an einer Ellipse veranschaulicht.
Im Rahmen eines Berechnungsvorgangs werden für Imax gleichmäßig über den vollen Winkel 0 ≤ τ ≤ 2π verteilte Segmente (in der Ellipse durch graue, radiale Linien veranschaulicht) die Segmentlängen ermittelt. Dabei wird mit einer Reihe von N-1 Gliedern gerechnet. Der gleiche Berechnungsvorgang wird jetzt noch einmal, aber nun mit N Gliedern ausgeführt. Abschließend wir das quadratische Mittel der Differenzen e der beiden Berechnungsvorgänge über jeden Segmentwinkel gebildet. Iterativ wird dieses Verfahren mit steigender Gliederanzahl N++ wiederholt, bis der Fehler e ≤ 10-6 wird. Dann wird das Verfahren abgebrochen und er ermittelte Wert für diese Fehlerschranke angezeigt.
Weiterhin angezeigt werden die zu erwartenden Fehlerzuwächse, wenn die Reihenentwicklung für die Berechnung der Segmentlänge eine Glied früher abgebrochen wird. Auch werden die Winkel angegeben und in der Grafik sichtbar gemacht, die für die größten relativen bzw. absoluten Berechnungsfehler verantwortlich sind.
Ergebnisdiskussion: Es zeigt sich, wie zu erwarten, dass die Unterschreitung der Fehlerschranke bei größeren Excentrizitäten ε erst bei einer höheren Anzahl von Reihengliedern eintritt. Zum Vergleich wird auch der so berechnete Umfang U der Ellipse dem Ergebnis des Näherungsverfahrens von RAMANUJAN gegenüber gestellt. Auch hier wird eine Abweichung zwischen den beiden Verfahren zur Umfangsberechnung angeben.
Die zweite Teilaufgabe beginnt mit der Feststellung der Zwangsbedingung. Diese geht aus der Notwendigkeit der Verbindung von Ellipse und Oberfläche der schiefen Ebene hervor. Zunächst muss der Berührungspunkt Touchpoint der Ellipse, die um den Winkel φ gedreht wurde und sich auf der schiefen Ebene mit der Neigung α befindet, bestimmt werden. Es wird also die Tangente an der Ellipse gesucht, deren Winkel mit der Schräge der schiefen Ebene übereinstimmt (siehe auch die zweite step-by-step-Erläuterung).
Die Steigung der gesuchten Tangente ergibt sich demnach zu:
()
()
Und die LAGRANGE-Funktion L lautet:
()
Die folgenden Schritte bestehen in der Anwendung der Differentialtionsregeln und trigonometrischer Beziehungen und führen endlich auf die gesuchte Differentialgleichung:
()
Für die Lösung der DGl. verwende ich wieder das einfache EULER-CAUCHY-Verfahren. Wie schon an anderer Stelle ausgeführt, liefert der LAGRANGEsche Formalismus eine Differentialgleichung für ein verlustfreies System. Da das aber nicht einem natürlichen Verhalten entspricht, wird in der Implementation der Gradientenfunktion noch ein von der Winkelgeschwindigkeit ω abhängiger Verlustterm eingefügt.
Im Beispielprogramm befindet sich ein elliptischer Zylinder auf einer ebenen Bahn, die per Maus angehoben oder abgesenkt werden kann (grüner Kreis links neben der Ebene). Mit den Schiebereglern ε und φ0 können Form (Excentrizität) und Anfangslage der Ellipse beeinflusst werden.
Ergebnisdiskussion: Die Ellipse beginnt sich zu bewegen, sobald sich ihr Schwerpunkt außerhalb des Berührungspunktes Ellipse - Ebene liegt. Dies kann in verschieden gewählten Anfangspositionen der Ellipse erprobt werden. Verstärkt wird dieses Verhalten, sobald die Ebene angehoben oder abgesenkt wird. Es ist dann der typische exzentrische Bewegungsverlauf zu beobachten.