11. Kapitel
LAGRANGEsche Mechanik
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Der LAGRANGEsche Formalismus
Mit zunehmender Komplexität der bewegten Körper wird das Aufstellen der beschreibenden Differenzialgleichungen immer schwieriger, weil die Zusammenhänge und die gegenseitigen Abhängigkeiten der Einzelteile immer weniger durchschaubar werden. Daher wäre es wünschenswert, auch für das Aufstellen der Differenzialgleichungen einen ähnlich wirkungsvollen Algorithmus, wie das die numerischen Methoden für das Lösen von Differenzialgleichungen bieten, zu besitzen. Dies leistet der LAGRANGEsche Formalismus.Während in der NEWTONschen Mechanik die Kraft im Zentrum steht, ist die Energie das zentrale Element der LAGRANGEschen Mechanik. Kurz, es geht um das Wechselspiel von potentieller und kinetischer Energie. Während Kräfte mittels Vektoren derzustellen sind, bei deren Behandlung Betrag und Richtung zu beachten sind, werden Energien durch Skalare repräsentiert. Das vereinfacht den Weg von der Modellbildung bis zur Aufstellung der gesuchten Differentialgleichungen. Die bei Verwendung der Kraftvektoren erforderlichen Zwischenschritte, wie z.B. das Freischneiden komplizierter mechanischer Konstrukte, kann dann in den meisten Fällen entfallen.
Stattdessen wird die sog. LAGRANGE-Funktion L aufgestellt, die aus allen im System wirkenden kinetischen und potentiellen (Teil)Energien gebildet wird. Dies ist eine skalare Funktion, ohne dass irgendwelche Richtungsinformationen berücksichtigt werden müssten.
Einführung
Im 3D-Raum verfügt jedes bewegliche Element über sogenannte Freiheitsgrade. Dies sind die Raumrichtungen oder Achsen, in denen oder um die sich das Element frei bewegen kann. Dem stehen Zwangsbedingungen gegenüber, die diese Freiheit einschränken. Solche Zwangsbedingungen ergeben sich z.B. aus der begrenzenden Wirkung der Gleitfläche einer schiefen Ebene, die der Körper nicht verlassen kann. Oder der festen Länge eines Pendels, die die schwingende Masse auf eine Kreisbahn zwingt.Um eine vollständige Beschreibung der Bewegung eines (oder auch mehrere) Körper zu erhalten, ist ein System von Differentialgleichungen erforderlich, das aus genau so vielen Gleichungen besteht, wie es Freiheitsgrade gibt.
Nun gibt es, abhängig von der Wahl des Koordinatensystems, unterschiedliche Koordinaten. Z.B. die kartesischen Koordinaten xk, yk, zk, die Polarkoordinaten rk und φk oder die Kugelkoordinaten rk, φk, θk, wenn das betrachtete System k = 0...K-1 Objekte umfasst. Diese Koordinaten können durch geeignete Koordinatentransformationen in einander umgewandelt werden. An diese Betrachtung schließt sich eine generalisierte physikalische Welt an. Generalisierte Koordinaten und deren Ableitungen nach der Zeit t, die generalisierten Geschwindigkeiten sind zweckmäßig gewählte Variable, die den mechanischen Konstrukt eindeutig beschreiben, also eindeutig aus den ursprünglich gegebenen Koordinaten und Geschwindigkeiten abgeleitet werden können. Die schiefe Ebene in ist hierfür eine schönes Beispiel: Während die Beschreibung von Ort und Geschwindigkeit der Kugel auf der schiefen Ebene zwei kartesische Koordinaten, eine für die x-Richtung und eine weitere für die y-Richtung benötigt, genügt eine Koordinate, wenn wir die Beschreibung im s-Koordinatensystem vornehmen. Die Koordinate s und deren zeitliche Ableitung vs sind demnach generalisierte Koordinaten! Welche Anforderungen müssen generalisierte Koordinaten erfüllen?
- die gewählten Koordinaten müssen unabhängig von einander sein,
- sie müssen alle Orte des Konstruktes eindeutig beschreiben und
- ihre Anzahl stimmt mit der Anzahl der Freiheitsgrade überein.
Ohne auf die Theorie des LAGRANGEschen Formalismus näher einzugehen, wollen wir jetzt an einem bekannten Beispiel die Vorgehensweise des LAGRANGEschen Formalismus kennen lernen.
Zunächst gehen wir davon aus, dass das betrachtete System verlustfrei arbeitet, also nur kinetische und potentielle Energien wirken. Dann wird das gesamte System durch diese beiden Energieformen vollständig beschrieben und in der sog. LAGRANGE-Funktion ausgedrückt ():
Du wirst Dich fragen, warum die LAGRANGE-Funktion aus der Differenz und
nicht aus der Summe der kinetischen und potentiellen Energien
gebildet wird. Alex R. Howe
hat sich das auch gefragt und meint, dass die LAGRANGE-Funktion weniger physikalisch als aus
Gründen der Zweckmäßigkeit interpretiert werden sollte. Das zeitliche Integral der LAGRANGE-Funktion
führt auf den Ausdruck einer Wirkung und betont somit Ort und
Geschwindigkeit der Teile des Systems. Sie führt sowohl auf die (Erhaltungssätze)
als auch auf die korrekten Bewegungsgleichungen der NEWTONschen Axiome.
Im Gegensatz dazu basiert die Hamiltonsche Mechanik in
der Tat auf der Gesamtenergie des betrachteten Systems. In den HAMILTONschen Bewegungsgleichungen stehen die Orts- und Impulsinformationen der Teile des
Systems im Zentrum der Betrachtungen.
()
on/off
()
Ein partielles Differential, kennlich am Differential-Symbol
∂ in griechischen Lettern, wird angewendet bei Funktionen
die von mehreren Variablen abhängig sind. Das partielle
Differential macht somit deutlich, dass es sich hier um die (teilweise =
partielle) Ableitung nach einer der unabhängigen Variablen
handelt.
on/off
Auf der rechten Seite der Gleichung steht die partielle Ableitung der LAGRANGEschen-Funktion L nach der i-ten Ortskoordinate, auf der linken Seite hingegen befindet sich eine zweifache Ableitung der LAGRANGEschen Funktion: Zunächst erfolgt die partielle Ableitung nach der i-ten Geschwindigkeit (das ist, Du erinnerst Dich, die erste Ableitung der Ortskoordinate nach der Zeit!). Dann wird die nach der Geschwindigkeit abgeleitete LAGRANGEsche-Funktion noch einmal, diesmal aber nach der Zeit t abgeleitet, was dann die Berechnung einer Beschleunigung zur Folge hat.
Grau ist alle Theorie, schauen wir uns das mal anhand der Doppelfederanordnung (Bild ) an.
Die zweifache Feder-Masse-Anordnung ist leicht zu überschauen und könnte auch
mit herkömmlichen Mitteln gut behandelt werden (siehe Kapitel
"Verkoppelte Differentialgleichungen").
Hier soll uns das Beispiel jedoch die Anwendung des LAGRANGEschen Formalismus
nahe bringen.
Grundsätzlich könnten die Massen m1 und m2 natürlich auch in x-Richtung schwingen, das wollen wir jetzt aber der Einfachheit halber nicht zulassen. Daher gibt es für diese Anordnung nur zwei Freiheitsgrade, nämlich y1 und y2. Und die Zwangsbedingungen wären x1 = 0 und x2 = 0. Darum können wir in die Variablen q1 durch y1 und q2 durch y2 ersetzen.
Da wir zwei Freiheitsgrade haben, benötigen wir also auch zwei Differentialgleichungen zur Lösung der Bewegungsgleichungen.
Es sei noch erwähnt, dass die Anordnung mit Federn der Federkonstanten n1 und n2 und den Ruhefederlängen l1 und l2 ausgestattet sind.
Beginnen wir mit der Aufstellung der LAGRANGE-Funktion.
Zunächst werden die kinetischen Energien Wkin1 und Wkin2 ...
Grundsätzlich könnten die Massen m1 und m2 natürlich auch in x-Richtung schwingen, das wollen wir jetzt aber der Einfachheit halber nicht zulassen. Daher gibt es für diese Anordnung nur zwei Freiheitsgrade, nämlich y1 und y2. Und die Zwangsbedingungen wären x1 = 0 und x2 = 0. Darum können wir in die Variablen q1 durch y1 und q2 durch y2 ersetzen.
Da wir zwei Freiheitsgrade haben, benötigen wir also auch zwei Differentialgleichungen zur Lösung der Bewegungsgleichungen.
Es sei noch erwähnt, dass die Anordnung mit Federn der Federkonstanten n1 und n2 und den Ruhefederlängen l1 und l2 ausgestattet sind.
Beginnen wir mit der Aufstellung der LAGRANGE-Funktion.
Zunächst werden die kinetischen Energien Wkin1 und Wkin2 ...
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Abb. Zwei verkoppelte Feder-Masse-Systeme
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Gemäß lautet die LAGRANGEsche Funktion nunmehr:
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Berücksichtgung von Reibungskräften
Wie Du bemerkt haben wirst, in haben wir vorausgesetzt, dass das betrachtete System reibungsfrei ist. Und die Lösungen, die und zeigen, spiegeln das auch wider. Kein Reibungseinfluss, keine Verlustenergie sind zu sehen! Wie bekommen wir nun den Reibungseinfluss mit in die Differentialgleichung?Um das zu erreichen, erweitern wir um einen Term, der die bisher allein vertretenen konservativen Energien (Masse, Gravitation und Feder) um eine nichtkonservative Energie (Reibung) erweitert:
Interpretieren wir Gleichung , so stellen wir
fest, dass die Differenzierung der Terme links und rechts des
Gleichheitszeichens immer auf Kräfte führen. So führt die
Differentiation der potentiellen Energie nach dem Weg (rechte Seite) auf
und die Differentiation der kinetischen Energie nach der Geschwindigkeit über
auf Kräfte. Damit zeigt sich, dass letztlich auch der LAGRANGEsche
Formalismus ein Kräftegleichgewicht darstellt. Und so können auch die
nichtkonservativen Kräfte erfasst werden, sind sie
doch ebenfalls Bestandteil des Kräftegleichgewichts!
()
on/off
Die Fqi in repräsentieren Kräfte, die Energie aus dem System entnehmen, z.B. durch Reibung oder Verformung eines Körpers. Das sind nichtkonservative Kräfte. In unserem Beispiel werden solche Kräfte durch die Strömungsreibung hervorgerufen:
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