9. Kapitel
Bemannte Raumfahrt und künstliche Himmelskörper
Die bemannte Raumfahrt und künstliche Himmelskörper dienen der Erforschung des erdnahen Raumes ebenso wie der Erkundung der Tiefen des Weltalls. Mittlerer Weile gibt es so viele solcher künstlichen Himmelskörper (und deren Trümmer), dass eine genaue Vorhersage ihrer Bahnen, also ihrer Bewegungen, enorm wichtig ist. Darum greife ich hier zwei solche Missionen heraus:Die Apollo-Missionen
Grundsätzlich ähnliche physikalische Verhältnisse wie bei dem Flug eines Kometen liegen auch bei der Raumfahrt vor. Eines der spektakulärsten Ereignisse der Raumfahrt war die Landung des Menschen auf dem Mond. Die Apollo-Missionen, in den 60iger Jahren des vorigen Jahrhunderts geplant, brachte mehrfach Menschen erfolgreich auf den Mond und wieder auf die Erde zurück. Selbst die verunglückte Mission Apollo 13 brachte die Besatzung unverletzt auf die Erde zurück.Gerade das Zurückbringen auf die Erde bringt größte Herausforderungen an die Technik, aber auch an die Theorie der Bahnberechnung mit sich. Während ein Komet in der Atmosphäre am besten verglühen sollte, um Schaden von der Erde abzuweden, soll genau dies bei der Landung einer bemannten Mission verhindert werden. Aber wie kann die gewaltige Geschwindigkeit des Raumschiffes bei der Annnäherung an die Erde so abgebremst werden, dass die Besatzung dieses Manöver überlebt? Wie kann die gewaltige Bewegungsenergie abgebaut werden, ohne dass das Raumschiff verglüht?
zeigt schematisch die Rückkehrphase einer Apollo-Mission. Nach dem Start vom Mond erreicht das Rückkehrmodul, bestehend aus Service- und Commandmodul, innerhalb von 198 s eine Entfernung von 38.440 km von der Oberfläche des Mondes. Das ist der Punkt, an dem sich die Anziehungskräfte von Erde und Mond gerade aufheben.
Abb. Apollo-Mission: Rückflug vom Mond
on/off
Die Planung der Flugbahn zielt darauf ab, die Belastungen für Mensch und Material so klein wie möglich zu halten. Dies wird erreicht, indem die Bahn nicht direkt auf die Erde ausgerichtet wird, sondern vielmehr auf die äußeren Schichten der Atmosphäre, wo die Luftdichte noch sehr gering ist. Die Bahn wird also möglichst flach ausgelegt, damit der Flug in den dünnen Schichten der Atmosphäre möglichst ausgedehnt wird, um so die Bewegungsenergie langsam abzubauen. So wird erreicht, dass die Bremsverzögerung nicht das 7-fache der Erdbeschleunigung ausmacht und die Temperatur am Hitzeschild nicht mehr als 3200 °C erreicht. Andererseits darf die Bahn nicht zu flach sein, da sonst das Modul den nahen Erdbereich wieder verlassen und die Astronauten ins All hinaus geschleudert würden. Das ist die kritischste Phase der gesamten Mission!
Ist das Commandmodul hinreichend weit abgebremst und dabei in Höhe von 3,5 km in die dichteren Schichten der Atmosphäre abgestiegen, öffnen sich die Bremsfallschirme und begrenzen die Fallgeschwindigkeit auf 35 km/h. Der Abstieg ist beendet, wenn das Commandmodul im Pazifik wassert.
Wir wollen das Geschehen ab dem Punkt der Gravitationsgleiche bis zur Landung des Commandmoduls auf der Erde rechentechnisch simulieren. Betrachten wir zunächst die Startsituation (). Das Raumschiff befindet sich im Abstand distApolloErde = r0 von der Erde am Punkt P(x0, y0). Daraus ergibt sich ein Startwinkel φ0 bezüglich einer gedachten Bezugslinie. Während der Startvektor der Geschwindigkeit durch den Betrag v0 und den Winkel ψ0 beschrieben wird.
Für die Bewegungsgleichungen gelten hier grundsätzlich die gleichen Differentialgleichungen wie in und formuliert. Allerdings sind hier einige Anpassungen erforderlich. Das betrifft den Antrieb durch das Haupttriebwerk und das Abbremsen in der Atmosphäre.
Abb. Apollo-Mission: Ausgangsposition
Doch zunächst wollen wir die Anfangsbedingungen für die
numerische Lösung finden. Es werden die radialen v0r
bzw. tangentialen v0φ Geschwindigkeitskomponenten
des Raumschiffs benötigt ():
Woraus schließlich die Startwinkelgeschwindigkeit ω0
berechnet wird:
(a)
(b)
()
Abb. Apollo-Mission: Komponenten der Flugbahn
Zunächst betrachten wir den Einfluss des Antriebs
auf die DGl. Das ist ein Raketenmotor, der eine Beschleunigung des Raumschiffes bewirkt.
zeigt die wirksamen Komponenten der Beschleunigung
in radiale ar bzw. tangentiale
aφ Richtung, die sich in der Regel aber nicht mit der vom
Raketentriebwerk verursachten Beschleunigung decken.
Abb. Apollo-Mission: Wirkung des Antriebs auf die Bewegung
()
Nun werden noch die Komponenten der Beschleunigung acr und acφ ermittelt...
(a)
(b)
So ergibt sich ein Paar verkoppelter Differentialgleichungen für die reibungsfreie Bewegung im erdnahen Raum unter Berücksichtigung des Raketenantriebs:
(a)
(b)
Abb. Apollo-Mission: Wirkung der Strömungsreibung
Das Commandmodul wird durch einen Hitzeschild geschützt. Seine Wirkung besteht darin, dass das aufgetragene Material verdampft (Ablation) und dabei das Modul kühlt.
In einer Höhe von 3,5 km werden die Landefallschirme geöffnet, die den Abstieg auf 35 km/h abbremsen.
on/off
on/off
()
()
Für die Berechnung der Komponenten ist der Winkel δ maßgeblich. Dieser stellt die Differenz zwischen Bahnwinkel (Tangente) β und Standortwinkel φ dar. Daraus folgt:
(a)
(b)
(a)
(b)
(a)
(b)
- die Verlustleistung
Die Verlustleistung, die infolge der Strömungsreibung auftritt, muss durch den Hitzeschild abgebaut werden. Physikalisch steht die Ausnutzung der Verdampfungswärme dahinter. Das ist ein Effekt, der ähnlich wie beim Abschmelzen von Eis Wärmeenergie benötigt, ohne dass dabei die Temperatur ansteigt. Dieser Ablation genannte Effekt ist bei bestimmten Materialien besonders ausgeprägt. Die NASA verwendete für die Apollo-Missionen das Material AVCOAT. Dieses Material hat eine Ablationsleistung PV von 100 ... 300 W/cm³. Entsprechend Gleichung bedeutet das, dass die Geschwindigkeit v im Zusammenspiel mit der Luftdichte ρ(r) diesen Wert nicht überschreiten darf.
Mit anderen Worten, die Flugbahn muss so flach gewählt werden, dass ein Großteil der Bewegungsenergie in den oberen Schichten der Atmosphäre abgebaut wird, bevor die dichteren Luftschichten durchflogen werden.
- die Bremsverzögerung
Die Bremsverzögerung darf für den Menschen den Wert der sechsfachen Erdbeschleunigung nicht übersteigen. Der Bereich ist etwas ungenau definiert. So beträgt die Bremsverzögerung im Space-Shuttle ca. 1,5 g und bei der Sojus bis zum 10fachen (10 g)! Auch hier gilt: eine flache Eintrittsbahn ist besser als eine steile!
Abb. Apollo-Mission: Berechnung der Bremsverzögerung
Zur Berechnung des Betrags des wirksamen Beschleunigungsverktors werden die beiden Beschleunigungskomponenten ax und ay benötigt:
(a)
(b)
()
Bei der Implementierung besteht eine der wichtigsten Aufgaben darin, eine maßstäbliche Darstellung der kosmischen Verhältnisse zu erreichen. Erde, Mond und Raumschiff gleichzeitig in den richtigen Proportionen darzustellen ist unmöglich, weil das Raumschiff in den Relationen zu Erde und Mond viel zu klein ist. Also habe ich mich entschlossen, den Beobachter mit dem Raumschiff in einiger Entfernung mitfliegen zu lassen. D.h. die Abmaße des Raumschiffes bleiben immer unverändert, während Erde und Mond entsprechend den aktuellen Entfernungen maßstäblich angepasst werden. Mit anderen Worten, der Maßstab für das kosmische Umfeld wird immer wieder angepasst. Ebenfalls angepasst wird auch die Zeitskala. Während im Anflug auf die Erde, der bei den Apollo-Missionen mehrere Tage dauern konnte, kaum Änderungen an der Flugbahn zu beobachten sind, ist das in Erdnähe ganz anders. Darum wird die Zeitraffung von einem Faktor 10.000 im All bis auf 10 im Erdumfeld reduziert. Zu Testzwecken oder um den Raketenantrieb präzise einsetzen zu können, kann der Zeitraffer auf 1 gesetzt werden.
Für die Lösung der Differentialgleichungen wird der RUNGE-KUTTA-Solver RK4 eingesetzt. Dabei wird die Gradienten-Funktion in zwei Teilfunktionen aufgespaltet, da sich die Phasen Annäherung, bei der der Raketenantrieb eingesetzt werden kann, und die Phase Abstieg, in der nur noch die Reibung wirkt, gegenseitig ausschließen.
Während der Phase Annäherung muss die Gesamtmasse m des Raumschiffes als Variable angesehen werden, denn der Booster verbraucht Treibstoff und vermindert damit die Masse. Und in der Phase Abstieg muss die Luftdichte ρ(r) als Variable behandelt werden. Dies ist die Garantie für eine glückliche Rückkehr der Astronauten!
Im Zentrum des Anzeigebereiches steht die Konstellation Erde - Apollo - Mond.
Im oberen Bildbereich ist ein "Cockpit" zu sehen, das mittig eine
Orientierungshilfe anzeigt. Es werden dabei die Bahntangente (grüner Pfeil und
Anzeige β) sowie die Orientierung des Raumschiffs (Bild und
Anzeige ψ) dargestellt.
Rechts von der Orientierungshilfe gibt es noch zwei Bedienelemente für den manuellen Start des Haupttriebwerkes und das Öffnen der Bremsfallschirme. Die Taste Boost betätigt das Triebwerk solange die Taste gedrückt bleibt. Und mit der Taste open/close können die Landefallschirme ab der dafür vorgesehenen Höhe bedient werden. Eine Richtungsänderung beim Start und während des Fluges kann hier ersatzweise durch die +/- Tasten unter der Orientierungshilfe vorgenommen werden. Mit jedem Tastendruck kann die Orientierung des Raumschiffs in 0.5°-Schritten verändert werden. Nach der Abtrennung des Commandmoduls ist das nicht mehr möglich!
Im unteren Bildbereich befinden sich Bedienelemente für den START und die Einstellung des Zeitraffers. Die Zeitraffereinstellung 10000 unterliegt während der Erdannäherung von Apollo der dynamischen Anpassung, während die Einstellung 100 eine unveränderliche Zeitbeschleunigung um das 100-fache bewirkt.
Eine besondere Bedeutung kommt dem mode-Schalter zu. Hier werden drei Startmodi zur Auswahl gestellt. Der Grundmodus erlaubt dem Benutzer die freie Vorwahl des Startwinkels. Die beiden anderen Modi zeigen Einstellungen, die eine sichere Landung der Crew auf der Erde ermöglichen.
Ergebnisdiskussion: Das Experimentieren mit den Startwerten der Geschwindigkeit v0 (hier werden entsprechend des gewählten Modus unterschiedliche, aber festestehende Werte gewählt) und dem Winkel ψ0 zeigt eindrücklich, wie sensibel die Landeparameter reagieren. Eine "blinde" Steuerung mittels Booster und Korrekturtriebwerken führt ausnahmslos zum Fiasko. Mit den beiden voreingestellten Wertepaaren können gravierend verschiedene Bahnverläufe erzeugt werden. Das zeigt insgesamt, dass die Steuerung eines künstlichen Himmelskörpers bis zu seinem Ziel eine Angelegenheit höchster Präzission ist und ganz exakter Planung bedarf.
PS.: Die Darstellung der Erdoberfläche ist natürlich falsch! Richtig wäre eine polare Darstellung!