9. Kapitel
Anwendung des Rückstoßprinzips auf den Raketenantrieb
Bewegungsgleichung der Rakete
Eine der wichtigsten Anwendungen der Impulserhaltung ist das Rückstoßprinzip. Hier wollen wir uns mit der Anwendung des Rückstoßprinzips auf den Raketenantrieb befassen. Dieser Antrieb zeichnet sich dadurch aus, dass er zur Fortbewegung einer Masse keinen festen Angriffspunkt oder eine Auftrieb vermittelnde Atmosphäre benötigt.
Den notwendigen Treibstoffvorrat, der sich über die Dauer des aktiven Antriebs stetig
verringert, führt die Rakete mit sich. Und hier liegt die Besonderheit in der
mathematischen Behandlung. Anders als bisher ist die Masse, die beschleunigt werden
muss, nicht mehr konstant!
Die Masse einer Rakete setzt sich aus der Leermasse m0, wozu auch die Masse der Nutzlast zu rechnen ist, und der zeitlich veränderlichen Treibstoffmasse mT(t) zusammen.
Nehmen wir an, dass die Rakete vor dem Start mit der Treibstoffmenge
mT0 aufgetankt war und der
Antrieb einen konstanten Massestrom q an Treibstoff benötigt, dann
verringert sich der Treibstoffvorrat linear mit der Zeit:
Der Impulserhaltungssatz sagt aus, dass die
Geschwindigkeitszunahme dv dem Masseverlust
dm infolge der Treibstoffverbrennung proportional ist.
Dabei ist die Wirksamkeit des Antriebs sehr stark von der Geschwindigkeit
vGas des Verbrennungsgases abhängig. Dadurch, dass die
Gesamtmasse m(t) der Rakete mit der Zeit immer geringer wird,
nimmt der Geschwindigkeitszuwachs dv mit der Zeit zu.
Beginnen wir mit dem Impulserhaltungssatz
Mit der oben gemachten Annahme, dass der Treibstoffverbrauch konstant ist, gilt
Die Masse einer Rakete setzt sich aus der Leermasse m0, wozu auch die Masse der Nutzlast zu rechnen ist, und der zeitlich veränderlichen Treibstoffmasse mT(t) zusammen.
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Beginnen wir mit dem Impulserhaltungssatz
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So vereinfacht sich zu
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Im Programmbeispiel wird der Start einer SATURN V simuliert. Wir beobachten das
Startverfahren bis zum Ausbrennen der ersten Stufe, die nach Brennschluss zu
Boden stürzt. Mit der SATURN V wurden die Mondlandeunternehmungen der NASA
gestartet.
Die Mission hatte laut NASA folgende Parameter:
Die Mission hatte laut NASA folgende Parameter:
Gesamtmasse | m = 2,95·106 kg |
Leermasse | m0 = 1,00·106 kg |
Brenndauer | T = 160 s |
Gasgeschwindigkeit | vGas = 2,22·103 m/s |
Massestrom | q = 15·103 kg/s |
Schub | FAntrieb = 33·106 N |
Ergebnisdiskussion: Für die SATURN V beträgt die Startbeschleunigung:
Der weitere Flugverlauf ist dadurch bestimmt, dass die Rakete nicht gleichmäßig beschleunigt, sondern mit linear wachsender Beschleunigung fliegt!
Schräger Raketenstart unter Reibungseinfluss
Eine schräg startende Rakete ist mehreren Einflüssen unterworfen:
Da wir für die Aufstellung der Differentialgleichungen die Komponenten der
Bewegung benötigen, werden die maßgeblichen Kräfte über den Neigungswinkel
der Rakete in ihre x- bzw.
y-Komponenten zerlegt. Mit q wird wieder der
Massestrom des Verbrennungsgases und mit r die
Reibzahl der Strömungsreibung
bezeichnet.
Im Ergebnis unserer Überlegungen entsteht wieder ein verkoppeltes System von Differentialgleichungen, für jede Komponente eine Differentialgleichung:
- Dem Schub durch den Antrieb entgegengesetzt wirkt die Strömungsreibung,
- die Massenträgheit muss überwunden werden und
- die Gravitation wirkt der vertikalen Komponente des Antriebs entgegen.
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Im Ergebnis unserer Überlegungen entsteht wieder ein verkoppeltes System von Differentialgleichungen, für jede Komponente eine Differentialgleichung:
Abb. Einflussgrößen beim schrägen Flug
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Bemerkenswert hieran ist, dass auf den actio-Seiten der Gleichungen und ungleiche Kräfte stehen. Während die x-Komponente den dem Neigungswinkel entsprechenden Schub voll abbekommt, wird die anteilige Kraft der y-Komponente um die Gravitation G vermindert. Das hat zur Folge, dass Raktenneigung und Neigung der Flugbahn nicht übereinstimmen.
Division durch die Raketenmasse in beiden Gleichungen führt in bekannter Weise auf ein DGl-System der Beschleunigungen, das wie und zeigen, zu der numerischen Lösung der DGln. führen. Wegen der Einfachheit der Funktionen kann hier wieder das EULER-CAUCHY-Verfahren angewendet werden.
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Im Verlauf des Fluges wird die Beschleunigung der Rakete infolge der abnehmenden Masse immer größer, damit kommt die aktuelle Bahnneigung der idealen Bahn immer näher. Letztlich kommt es zu einem seitlichen Versatz beider Bahnen. Bis zum Brennschluss behält die Rakete ihren Startneigungswinkel bei, da keine Drehmomente wirken. Erst nach Brennschluss führt die äußere Form der Rakete zu aerodynamischen Effekten, die die Rakete immer in Flugrichtung ausrichten. Dies ist im Beispielprogramm auch zu beobachten.
Das Beispielprogramm zeigt den Flugverlauf einer Rakete, die unter Einfluss der
Strömungsreibung schräg gestartet wird. der Neigungswinkel ist über den
Schieberegler im Bereich von
einstellbar.
Dabei zeigen die graue Linie den idealen Flugverlauf und die grüne den realen
Flugverlauf an.
Unsere Beispiel-Rakete ist ein recht kleines Exemplar mit einer Höhe von 1 m und einem Startgewicht von 150 kg. Auch die Gasgeschwindigkeit ist mit 300 m/s bescheiden, ebenso der Massenstrom mit 10 kg/s. Diese Parameter wurden mit Absicht so gewählt, um die Effekte beim schrägen Start unter Einfluss der Strömungsreibung anschaulich zu machen. Damit die Rakete bei dem gewählten Maßstab überhaupt zu sehen ist, wurde sie 200-fach vergrößert!
Unsere Beispiel-Rakete ist ein recht kleines Exemplar mit einer Höhe von 1 m und einem Startgewicht von 150 kg. Auch die Gasgeschwindigkeit ist mit 300 m/s bescheiden, ebenso der Massenstrom mit 10 kg/s. Diese Parameter wurden mit Absicht so gewählt, um die Effekte beim schrägen Start unter Einfluss der Strömungsreibung anschaulich zu machen. Damit die Rakete bei dem gewählten Maßstab überhaupt zu sehen ist, wurde sie 200-fach vergrößert!
Ergebnisdiskussion: Wie das Beispielprogramm zeigt, hat die Flugbahn einer geneigt startenden Rakete gegenüber der idealen Flugbahn eine deutliche Abweichung. Diese ist umso größer je kleiner die y-Komponente der Schubkraft gegenüber der Gravitation G ist. Das bedeutet auch, dass ein zu flacher Startwinkel u.U. ein Abheben der Rakete unmöglich machen kann!
Raketengleichung von Ziolkowski
Der russische Raumfahrtpionier Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski befasste sich bereits 1903 mit technischen Problemen der Raumfahrt. Ihm war klar, dass nur Rückstoßantriebe in der Lage sein könnten, bemannte Fahrzeuge in das All zu transportieren. Bei diesen Überlegungen fand er die nach ihm benannte Raketengleichung. Diese berechnet aus dem Verhältnis von Startmasse m0 + mT0 zu Leermasse m0 multipliziert mit der Gasgeschwindigkeit vGas die maximal erreichbare Endgeschwindigkeit des Flugkörpers.Die Berechnung der Endgeschwindigkeit beginnt wieder mit dem Impulserhaltungssatz:
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Zur Erinnerung:
nun wird auf beiden Seiten der Gleichung die Integration ausgeführt:
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on/off
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Mit der Anfangsbedingung folgt aus
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Für das nebenstehende Beispiel des senkrechten Starts einer SATURN V ergibt sich mit den obigen Daten rechnerisch eine Endgeschwindigkeit vend = 2401 m/s. In der Simulation erreicht die erste Stufe bei Brennschluss ca. vend = 2100 m/s. Nicht ganz getroffen, aber doch als Beleg für die Richtigkeit der Simulation zu sehen.
Fluggeschwindigkeit und -höhe einer Rakete
Aus kann eine analytische Formel für die Geschwindigkeit einer Rakete während des Antriebs abgeleitet werden.Gehen wir davon aus, dass der Volumenstrom q bis zum Brennschluss konstant ist, dann kann die aktuelle Masse der Rakete m(t) aus der Startmasse mStart = m0 + m0T und dem Massenstrom q berechnet werden (siehe auch und ):
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wobei
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Die Integration des Logarithmus naturalis erfolgt durch partielle
Integration und liefert im speziellen Fall
um diese Form zu erreichen, muss unser Integral durch eine geeignete
Substitution
angepasst werden und liefert schließlich die gesuchte Lösung:
... und getrennt integriert werden:
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on/off
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Flugdauer bis zum Erreichen einer bestimmten Höhe
Nicht immer reicht das Wissen über die maximale Steighöhe oder die Dauer bis zum Erreichen dieser Höhe aus. Soll z.B. das Rendezvous einer Transportrakete mit einer Raumstation geplant werden, ist das Wissen um den richtigen Startzeitpunkt des Transporters unabdingbar. Die Raumstation befindet sich in einem Orbit mit exakt bekannten Bahndaten, daher ist die Bestimmung des Standortes der Raumstation zu jedem Zeitpunkt möglich. Ist die Flugdauer des Transporters bekannt, kann der Startzeitpunkt durch Rückrechnen der Positionen von Raumstation und Transporter beim Rendezvous ermittelt werden. Aber dazu ist die Flugdauer des Transporters bis zu diesem Zeitpunkt erforderlich!Eine exakte analytische Lösung lässt sich nicht angeben, die die Zusammenhänge nichtlinear sind. Darum wird hier eine Lösung mittels Fixpunkt-Iteration angegeben. Aus der expliziten Gleichung () für die Bewegung der Rakete kann eine Fixpunkt-Gleichung abgeleitet werden, indem die gesamte Gleichung nach dem einfachsten Summanden vGas·t umgestellt und anschließend nach t aufgelöst wird. Damit lautet die Fixpunkt-Gleichung:
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Nun muss noch geprüft werden, ob die so gefundene Fixpunkt-Gleichung konvergiert. Um den Konvergenzbereich zu bestimmen, wird die Fixpunkt-Gleichung einmal nach der Zeit t differenziert:
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Bei dieser Aufgabe geht es um die Bestimmung der Flugdauer einer Rakete vom Start
bis zum Erreichen einer bestimmten Höhe. Die Flughöhe ht
als Funktion der Zeit t kann aus der
Raketengleichung von ZIOLKOWSKI ()
hergeleitet werden. Im Beispiel wird die Zeit bis zum Erreichen einer wählbaren
Zielhöhe geschätzt und mit der tatsächlichen Flugdauer verglichen.