4. Kapitel
Das Phänomen der inneren Reibung
Reibungseffekte in Flüssigkeiten und Gasen
Anders als bei der Festkörperreibung, die an den Berührungsflächen von Körpern - also äußerlich - statt findet, wirkt die innere Reibung in strömenden Gasen und Flüssigkeiten im strömenden Medium und an den Grenzflächen zwischen Medium und begrenzenden Festkörpern. Für den Einfluss der inneren Reibung auf die Bewegung von Objekten, also die Kräfte, die Gase oder Flüssigkeiten auf die festen Körper ausüben, interessieren wir uns in diesem Kapitel.Strömungsreibung
Um das Phänomen der inneren Reibung in einem strömenden Medium besser zu verstehen, machen wir uns
ein Modell der Strömung. In bewegen sich Moleküle
unter dem Einfluss einer Kraft (oder eines Druckes) von links nach rechts. Da
es keine Querkräfte gibt, bewegen sich alle Moleküle mit gleicher
Geschwindigkeit in die gleiche Richtung. Statt der sich bewegenden Moleküle
zeichen wir die sogenannten Strömungslinien ein. Dies
verdeutlichen die Pfeile, hier mit Richtung nach rechts und gleicher Länge
wegen der gleichen Geschwindigkeit. Was in nicht
gezeigt wird, ist die dritte Dimension. Je nach Geometrie können die
Strömungslinien auch Flächen unterschiedlicher Formung repräsentieren. Eine
Strömung, bei der sich die Moleküle streng linienförmig bewegen, wird
laminar (laminar = schichtartig) genannt.
Abb. Konzept der Strömungslinien
zeigt ein Strömungsprofil, das durch eine
einseitige, flächige Begrenzung der Strömung durch eine feste Wand hervor
gerufen wird. Infolge der molekularen Kräfte, die zwischen den Molekülen wirken,
gibt es auch eine Wechselwirkung, also eine Kraft, zwischen den Molekülen des
strömenden Mediums und denen der Wand. Da die Wand aber fest stehend ist, werden
die jenigen Moleküle, die dicht an der Wand vorbei strömen, abgebremst. Natürlich
vermindert sich der Wandeinfluss mit zunehmender Entfernung der Moleküle von der
Wand! In großer Entfernung von der Wand stellt sich daher eine Ströung ein, die
der unbegrezten Strömung sehr ähnlich ist.
Abb. Einfluss einer feststehenden Wand auf das Strömungsprofil
Der folgende Fall einer Strömung () ist der für
unsere Aufgabenstellungen interessantere. Ein Körper wird von einem Medium
umströmt. Dabei spielt es keine Rolle, ob sich das Medium um einen ruhenden
Körper oder der Körper im ruhenden Medium bewegt. Nur die Relativbewegung ist
wichtig! Hier sehen wir, der Körper stellt für die Strömung ein Hindernis dar.
Er muss umströmt werden. Wir betrachten im Folgenden das Medium (Gas oder
Flüssigkeit) stets als inkompressibel, d.h. es verändert sein
Volumen bei Druckänderung nicht! Da das Medium bei der Umströmung des Körpers
nicht ausweichen, aber auch nicht komprimiert werden kann, kann die
Volumendiskrepanz nur durch eine Erhöhung der
Strömungsgeschwindigkeit ausgeglichen werden. In
wird dies durch die unterschiedlichen Längen der grünen Pfeile verdeutlicht. Hinter
dem Körper verlangsamt sich die Strömung wieder und füllt das "offene" Volumen
wieder aus. So lange die Strömungsgeschwindigkeit einen kritischen Wert nicht
übersteigt, bleiben die Strömungslinien geschlossen und die Strömung ist auch nach
dem Hindernis laminar.
Abb. Umströmung eines Zylinders bzw. einer Kugel
Bei zu großen Strömungsgeschwindigkeiten kann der Volumenausgleich nicht schnell
genug erfolgen (). Die Strömungslinien reißen ab und
verwirbeln sich hinter dem Hindernis. Eine solche Strömung wird
turbulent genannt. Turbulente Strömungen setzen dem umströmten Körper
einen größeren Widerstand entgegen als dies bei laminarer Strömung der Fall wäre.
Abb. Turbulente Strömung
Reibungsarten
Wie wir schon oben gesehen haben, ist die Ausprägung der Strömung von verschiedenen Faktoren abhängig. Selbstverständlich spielt die Form des in die Strömung eingebrachten Körpers eine wichtige Rolle, aber auch die Strömungsgeschwindigkeit hat einen wesentlichen Einfluss. Im Folgenden wollen wir hauptsächlich den Einfluss der Strömungsgeschwindigkeit auf den Strömungswiderstand untersuchen.Der erste untersuchte Fall befasst sich mit sehr niedrigen Strömungsgeschwindigkeiten, bei denen die Strömung laminar bleibt.
STOKESsche Reibung
Gleiten Schichten eines Mediums mit unterschiedlicher Geschwindigkeit aneinander
vorbei, so wirken innere Reibungskräfte zwischen den Schichten. Je
größer der Geschwindigkeitsunterschied, desto größer die gegenseitige Beeinflussung.
NEWTON formulierte in seinem Reibungsgesetz
eine Proportionalität zwischen der Geschwindigkeitsdifferenz dv zweier
benachbarter Schichten bezogen auf deren Schichtdicke dy und der
Reibungskraft FR, die zwischen den Schichten wirkt.
()
Abb. Zum Reibungsgesetz von NEWTON
Die (dynamische) Viskosität η
eines Mediums wird mit einer Anordnung von zwei
parallel im Abstand h angeordneten Platten der Fläche
A definiert.
()
()
Abb. Reibungskraft bei linearem Geschwindigkeitsgradienten
Wird nun gemäß die ortsabhängige Geschwindigkeit des Mediums nach
y differenziert, ergibt sich eine Reibkraft FR,
die proportional von der Geschwindigkeit v0, mit der die Deckplatte gezogen wird,
abhängig ist. Anders als bei der Festkörperreibung, gibt es hier keine Reibkraft solange keine Relativbewegung stattfindet:
()
on/off
()
worin
η die dynamische Viskosität,
R den Kugelradius und
v die Relativgeschwindigkeit
bedeuten.
Hier die Viskositäten η der für unsere Zwecke wichtigsten Medien
- Wasser: 1,52·10-3 kg·m-1·s-1 und
- Luft: 18,2·10-6 kg·m-1·s-1 *)
*) Quelle: Spektrum.de
Vorausschickend soll an dieser Stelle vermerkt werden, dass die STOKESsche Reibung nur für laminare Strömungen, also nur für kleine Geschwindigkeiten oder Medien mit hoher Viskosität, gilt. Quantitativ gibt die REYNOLDs Zahl Auskunft über die Geschwindigkeitsobergrenze, bei der ein Übergang von laminarer zu turbulenter Strömung stattfindet. Wir werden später einige Beispiele für die Grenzgeschwindigkeiten verschiedener Objekte und Medien berechnen.
NEWTONsche Reibung
Bei großen Strömungsgeschwindigkeiten tritt eine andere Erscheinung in den Vordergrund, die die Wirkung der Viskosität überdeckt: nämlich die Massenträgheit der auf das umströmte Objekt aufprallenden Moleküle des strömenden Mediums.
Nach dem Impulserhaltungssatz verfügt jedes Masseelement dm,
welches sich mit der Geschwindigkeit v bewegt, über einen Impuls p.
Trifft dieses Masseelement auf einen Körper und ändert dabei seine
Geschwindigkeit um den Wert dv, so übt es für die Dauer dt
einen Kraftstoß dF auf den Körper aus (siehe hierzu auch das Kapitel
Stoß/Kraftstoß und Impuls).
()
Abb. Wirkung aufprallender Moleküle
()
Da die Strömung sich mit der Gesamtgeschwindigkeit v bewegt, legt jedes Element in der Zeit dt den Weg ds zurück:
()
Abb. Zur Herleitung der NEWTONschen Strömungswiderstandskraft
Die angeströmte Fläche ist mit der Projektion des angeströmten
Körpers in Strömungsrichtung identisch.
Nun setzen wir und in
ein:
dt kann auf beiden Seiten gekürzt werden:
()
dt kann auf beiden Seiten gekürzt werden:
()
on/off
Wird auf beiden Seiten der durch die angeströmte
Fläche A dividiert, erhalten wir den Ausdruck für einen
Druck. Dieser Druck wird Staudruck genannt. Der
Staudruck wirkt frontal auf den umströmten Körper
()
und erhalten so:
()
on/off
Nun bringen wir an der noch eine kleine Korrektur an. Bei Betrachtung der wird klar, dass nicht jedes Masseelement seinen Impuls im vollen Umfang an das Hindernis abgeben kann. Das hängt von der Form des Hindernisses ab, aber auch davon, wie zentral das Masseelement auf das Hindernis trifft. Da diese Umstände qualitativ nur schwer zu erfassen sind, wird hier eine Korrekturkonstante cw eingeführt (der Index w steht für Widerstandsbeiwert). Allerdings ist die Bezeichnung "Konstante" nur mit Vorsicht zu gebrauchen, denn der cw-Wert ist u.a. von der Strömungsgeschwindigkeit abhängig. Suchst Du also einen cw-Wert für eine bestimmte Form, so ist auch die Angabe der Geschwindigkeit von Bedeutung! Tabellierte Werte gelten, wenn nicht anders angegeben, in der Regel für die "Gebrauchs"geschwindigkeiten der Objekte (z.B. bei Kfz).
()
Der Strömungswiderstand bei höheren und hohen (Überschallgeschwindigkeit
eingeschlossen!) Geschwindigkeiten steigt mit dem Quadrat der
Geschwindigkeit! Also hat eine Verdopplung der Geschwindigkeit eine Vervierfachung des
Strömungswiderstandes zur Folge.
Eine Geschwindigkeitsreduktion von 150 km/h auf 100 km/h hat eine Reduzierung der Strömungsreibkraft (und damit des Kraftstoffverbrauchs) um 44% zur Folge! So würde ein Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen zu einer deutlichen CO2-Reduktion im Kraftverkehr führen.
Eine Geschwindigkeitsreduktion von 150 km/h auf 100 km/h hat eine Reduzierung der Strömungsreibkraft (und damit des Kraftstoffverbrauchs) um 44% zur Folge! So würde ein Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen zu einer deutlichen CO2-Reduktion im Kraftverkehr führen.
Dieser sog. Strömungswiderstandskoeffizient oder Strömungswiderstandsbeiwert kann in Tabellen nachgeschlagen werden.
Hier einige Beispiele:
Form | cw-Wert |
Kugel | 0,45 |
Halbkugelschale konkav | 1,33 |
Halbkugelschale konvex | 0,34 |
Mensch | 0,78 |
PKW BMW 1er 2004 | 0,31 |
PKW Ford T | 0,9 |
Pinguin (in Wasser) | 0,03 |
REYNOLDSzahl
Tja, nun haben wir die Situation, zwischen zwei Reibungskräften, der STOKESschen und der NEWTONschen, wählen zu müssen. Wann ist welche Kraft die zutreffende? Eine Antwort hierauf kann die REYNOLDS-Zahl Re geben. Sie ist eine dimensionslose Zahl und ist dem Verhältnis von Verdrängungsenergie (NEWTONsche Reibung) zu der Energie, die zwischen den Teilchen eines Fluids, um die innere Reibung zu überwinden, aufzubringen ist, (STOKESsche Reibung) proportional.
()
In sehen wir eine Kugel mit dem Volumen V. Infolge ihrer Bewegung muss das frei gewordene Volumen des Mediums hinter der Kugel wieder aufgefüllt werden. Dies erfordert kinetische Energie, die Verdrängungsarbeit.
Um die aufzubringende kinetische Energie Wkin für die Verdrängung eines Masseteilchens des Fluids zu berechnen, verwenden wir die bereits bekannte Formel () zur Berechnung der kinetischen Energie bei gegebener Geschwindigkeit:
Abb. Zur Ermittlung der REYNOLDSzahl
()
()
()
worin
ρ die Dichte des Mediums,
R den Kugelradius und
l die charakteristische Länge
bedeuten.
ρ die Dichte des Mediums,
R den Kugelradius und
l die charakteristische Länge
bedeuten.
Einsetzen von Kugelvolumen und Verschiebeweg (siehe dazu ) ergibt
()
und kürzen
()
In anderen Bereichen der Strömungslehre, insbesondere der aerodynamischen bzw.
hydrodynamischen Modellmesstechnik, hat die REYNOLDSzahl eine ganz
hervorragende Bedeutung. Vereinfacht gesprochen: zwei Körper - ein Original
und ein verkleinertes Modell - haben gleiche Strömungseigenschaften, wenn sie
gleiche REYNOLDSzahlen aufweisen. Das bedeutet, dass eine Größenveränderung
durch eine Geschwindigkeitsänderung kompensiert werden kann, um so gültige
Rückschlüsse auf das Strömungsverhalten des Originals aus dem
Strömungsverhalten des Modells zu ziehen.
Der Faktor
wird als Reynolds-Zahl bezeichnet. Allgemeiner durch die charakteristische
Weglänge l ausgedrückt:
()
on/off
Und weiter? Experimentell wurde ermittelt, dass eine Strömung laminar bei „kleinen", d.h. Re < 2000 ... 2500, und turbulent bei „großen" , d.h. Re > 2000 ... 2500, REYNOLDSzahlen verläuft. Schon die Angabe des Re-Wertes in einem so weiten Bereich macht deutlich, dass eine exakte Trennung zwischen den Strömungsarten nicht möglich ist.
Dieser Bereich von Re = 2000 ... 2500 wird kritische REYNOLDSzahl Rkrit genannt. Nehmen wir an, dass Rkrit = 2300 sei. So können wir durch Umstellen der die kritische Geschwindigkeit vkrit berechnen, bei der die laminare in die turbulente Strömung umschlägt:
()
Zwei Beispiele sollen Klarheit verschaffen.
Tischtennis | Fußball |
ρLuft = 1,3 kg/m3 | ρLuft = 1,3 kg/m3 |
ηLuft = 18,2·10-6 kg/ms | ηLuft = 18,2·10-6 kg/ms |
Ø = 38 mm | Ø = 222,8 mm |
m = 2,5 g | m = 450 g |
vkrit = 0,85 m/s | vkrit = 0,16 m/s |
Beide Beispiele zeigen, dass wir uns bei der Entwicklung von Computersimulationen immer auf die NEWTONsche Reibung berufen können. So kleine Geschwindigkeiten spielen weder beim Tennis noch beim Fußball eine Rolle!